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Bericht zur 1. Jahrestagung des ISR

Am 21.11.2014 fand die erste Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) und der Düsseldorfer Vereinigung für Insolvenz- und Sanierungsrecht e.V. statt, die in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Unternehmenssteuerrecht, Bilanzrecht und Öffentliches Recht (Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen) zum Thema „Insolvenz und Steuern“ im NRW-Forum durchgeführt wurde.

Nach Begrüßung der Teilnehmer durch Prof. Dr. Nicola Preuß (geschäftsführende Direktorin des ISR) bildete der fallstudienartig aufgebaute Vortrag der Herren Dr. Jens Hageböke (WP/StB), Dr. Günter Kahlert (RA, StB) und Prof. Dr. Marcel Krumm (Universität Münster) den Auftakt der Tagung.

Gegenstand dieser Fallstudie waren die Interferenzen zwischen Insolvenz- und Steuerrecht bei der Abwicklung eines Insolvenzplanverfahrens. Im ersten Teil wurden die umsatz- und körperschaftsteuerrechtlichen Implikationen im Bereich der Eigenverwaltung verbundener Unternehmen dargelegt (Dr. Hageböke) sowie die Frage der Steuerzahlungspflicht und die damit verbundene Gefahr des gesetzlichen Vertreters, sich einer steuerrechtlichen Haftung auszusetzen (Dr. Kahlert). Weiterhin analysierten die Referenten die Frage der direkten und analogen Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO und der analogen Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung und lehnten sowohl eine direkte Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO als auch eine analoge Anwendung beider Vorschriften mangels planwidriger Regelungslücke ab.

Unmittelbar anschließend wurden die steuerrecht- und steuerverfahrensrechtlichen Aspekte im eröffneten Verfahren erörtert. Nach Darlegung der Bilanzierungspflichten des Insolvenzverwalters (Dr. Hageböke), beleuchtete Prof. Dr. Krumm die Schwierigkeit der Zuordnung von Körperschaftsteuerschulden zur Kategorie der Insolvenzforderungen bzw. Masseverbindlichkeiten. Das insolvenzrechtliche Abgrenzungsmerkmal der „Begründung“ des Anspruchs und seine Bedeutung und Reichweite im steuerrechtlichen Kontext wurden eingehend analysiert und die Auffassung des IV. und I. Senats des BFH, die nach Ansicht Prof. Krumms beide auf die Entstehung des Besteuerungstatbestands abstellten (a.A. Dr. Kahlert), rekapituliert.

Dr. Kahlert weihte die nach der Pause gestärkte Zuhörerschaft in die „Magie“ (Zitat) der umsatzsteuerlichen Doppelberichtigungsbesteuerung des BFH ein, um sich anschließend der Auswirkung einer erfolgreichen Anfechtung auf den durch den Schuldner vor Insolvenzantragstellung vorgenommenen Vorsteuerabzug zu widmen. Im Folgenden befassten sich die Referenten mit den steuerrechtlichen Fragen, die nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mitunter virulent würden. Zunächst ging es um die Behandlung von Ertragsteuererstattungen (Prof. Krumm), anschließend um die Behandlung von Steueränderungsanträgen nach Verfahrensaufhebung (Dr. Kahlert) und zuletzt um steuerrechtliche Haftungsfragen (Dr. Hageböke). Zum Abschluss der detailreichen Darstellung nahm sich Dr. Hageböke der steuerrechtlichen Haftungsinanspruchnahme für Steuerverbindlichkeiten im Rang von Insolvenzforderungen an. Er rückte hier die bedeutsame Haftungsnorm des § 69 i. V. m. § 34 AO im Eigenverwaltungsverfahren in den Fokus. Brisant sei insoweit die Frage, ob der gesetzliche Vertreter Steuern, die im Eröffnungsverfahren zur Eigenverwaltung entstanden seien, zahlen müsse oder ob er dadurch seine Massesicherungspflicht missachte. Als Handlungsempfehlung galt hier die Maxime „(Unter Vorbehalt) zahlen und anfechten“, um dem Haftungsrisiko zu entgehen und der Massesicherungspflicht zu genügen. Als letzte zentrale abgabenrechtliche Haftungsnorm rief Herr Dr. Hageböke den Tagungsteilnehmern die Regelung des § 73 AO in Erinnerung, mithin die steuerrechtliche Haftung der Organgesellschaft für Steuern der Organträgerin, soweit die Organschaft zwischen ihnen dafür bedeutsam ist.

Die Vorträge der zweiten Hälfte des Tages waren der Umsatzsteuer im insolvenzrechtlichen Kontext gewidmet, die sich im Spannungsverhältnis zwischen dem Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz als insolvenzrechtlichem Kardinalprinzip und dem fiskalischen Bedürfnis nach Durchsetzung eines möglichst ungekürzten Abgabenanspruchs bewegt.

Den Auftakt der zweiten Tagungshälfte machte Herr Rechtsanwalt/RiBFH a. D. Reinhart Rüsken zum Thema „Insolvenzverwaltung und Umsatzsteuer – eine kritische Bestandsaufnahme der BFH-Rechtsprechung“. Herr Rüsken zeichnete die aktuellen Rechtsprechungslinien des BFH zur Behandlung von Umsatzsteuerschulden nach und unterwarf sie einer kritischen Analyse. Er stellte seine Auffassung dar, dass mit der Entscheidung des BFH vom 29.01.2009 (Az.: V R 64/07), die für die Istbesteuerung die Maßgabe aufstellte, dass nach Verfahrenseröffnung vereinnahmte Umsatzsteuer aus vor Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen in den Rang von Masseverbindlichkeiten zu heben seien, „das Unheil seinen Lauf“ (Zitat) genommen habe. So führte diese Entscheidung des BFH zu einer abweichenden insolvenzrechtlichen Behandlung von Ist- und Sollbesteuerung und damit zu einem aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht nicht vertretbaren Wertungswiderspruch. Um diesen zu beheben, setzte der BFH in Bezug auf die Sollbesteuerung mit der sog. Doppelberichtigungsrechtsprechung nach (BFH vom 9.12.2010, Az.: V R 22/10). Diese führe indes zu erheblichen dogmatischen Verwerfungen, die der BFH durch seine Argumentation der rechtlichen Uneinbringlichkeit begründe. Als Rechtfertigung der Doppelberichtigung werde die Funktion des Unternehmers als „Steuereinnehmer für den Staat“ angeführt. Auch diese kritisierte Herr Rüsken scharf, denn sie beruhe auf einem bloß „vordergründigen Verständnis“. So sei der Unternehmer nicht Treuhänder der Umsatzsteuer. Sie sei vielmehr Bestandteil des Zahlungsanspruchs, den der leistende Unternehmer gegen den Leistungsempfänger habe und gehöre damit letztlich bei Vereinnahmung zunächst zu seinem Barvermögen.

Im Anschluss referierte Frau Corinne Rennert-Bergenthal (Rechtsanwältin, StB, WP) über die Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 InsO. Einleitend wies sie daraufhin, dass die Regelung nicht nur im zu erörternden Bereich der Umsatzbesteuerung, sondern auch in den ertrag- und gewerbesteuerlichen Ressorts zu nicht unerheblichen Verwerfungen führe. Die Gesetzesbegründung, so die Referentin, beruhe im Wesentlichen auf der Zwangsgläubigerschaft des Fiskus im Eröffnungsverfahren und damit verbundenen fiskalischen Erwägungen, die die Notwendigkeit zur Erhebung des ungekürzten Abgabenanspruchs zum Gegenstand hätten. Mit Blick auf den normativen Anwendungsbereich der Vorschrift stellte Frau Rennert-Bergenthal zunächst fest, dass die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO auf die sog. ESUG-Verfahren (Verfahren der Eigenverwaltung nach § 270a InsO und Schutzschirmverfahren des § 270b InsO) nicht anwendbar sei. Danach zeigte sie die Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Wortlaut der Vorschrift auf. Bei der Umsatzsteuer sei angesichts der Zwangsverrechnung von Umsatzsteuerschuld und Vorsteuererstattungsanspruch nach § 16 Abs. 2 UStG zunächst die Frage von Interesse, was mit „Verbindlichkeit aus dem Steuerschuldverhältnis“ gemeint sei. Im Kern gehe es um die Frage, ob die bloße Umsatzsteuerzahllast/-schuld oder der Saldo nach Verrechnung von Umsatzsteuer und Vorsteuer die „Verbindlichkeit“ i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO darstelle. Weitere Unzulänglichkeit der Vorschrift stelle der auslegungsbedürftige Begriff der „Zustimmung“ dar. Eine Lösung sah die Referentin entweder darin, die Zustimmung durch tatsächliches Handeln/Dulden zuzulassen, den Zustimmungsvorbehalt des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO unbeachtlich sein oder die Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO nur bei ausdrücklichem Widerspruch durch den vorläufigen Insolvenzverwalter entfallen zu lassen. Zuletzt berichtete die Referentin aus der mündlichen Verhandlung des BFH-Verfahrens (Az.: V R 48/13), in dem diese Fragen zur höchstrichterlichen Klärung anstünden.

Nach der zweiten Kaffeepause ging es mit dem Thema „Vorsteuerberichtigung“ weiter. Herr Gregor Kirch (MR, FM NRW) referierte zu der Vorsteuerberichtigung im Zusammenhang mit diversen im Eröffnungsverfahren und eröffneten Verfahren auftretenden Vorgängen. So erläuterte er Hintergrund und Bezugspunkt der Vorsteuerberichtigung bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt, bei schwebenden Verträgen und Erfüllungswahl und bei Vorliegen einer Organschaft. Im Folgenden stellte Herr Kirch die Vorsteuerberichtigung bei Zahlung der Insolvenzquote, die Auswirkungen des Erfordernisses einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG im eröffneten Verfahren sowie die Vorsteuerberichtigung bei Insolvenzanfechtung dar. Zuletzt wies er auf die insolvenz-umsatzsteuerrechtliche Besonderheit hin, die sich durch die EUGH-Rechtsprechung zu Spielautomatenumsätzen ergeben habe. Das Finanzamt dürfe danach mit - auf Antrag des IV nach Verfahrenseröffnung – zu erstattenden Umsatzsteuern, die sich auf weit vor der Eröffnung liegende Zeiträume bezögen, aufrechnen, weil der Tatbestand im Zeitpunkt der Erstattung erfüllt werde. Diesbezüglich verschwieg Herr Kirch nicht die von dem noch anwesenden Referenten des Vormittags, Herrn Dr. Kahlert, vertretene Gegenauffassung.

Den letzten Vortrag des Tages hielt Prof. Dr. Roman Seer (Ruhr-Universität Bochum) zum Thema „Umsatzsteuer in der Krise – steuersystematische Überlegungen aus der Perspektive des europarechtlich eingebundenen Steuerrechts“. Im Gegensatz zu seinem Vorredner vertrat Prof. Seer die Ansicht, der  Unternehmer nehme für die Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer sehr wohl die Aufgabe eines „Steuereinsammlers“ für den Staat wahr, denn der Belastungsgrund der Umsatzsteuer sei die sich durch den Konsum am Markt zeigende Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers. Prof. Seer zeigte die der Umsatzsteuer zugrundeliegenden Prinzipien auf und stellte die These in den Raum, dass es angesichts des Grundprinzips der umsatzsteuerlichen Wettbewerbsneutralität aus umsatzsteuerlicher Sicht keinen Unterschied machen dürfe, ob die Umsatzsteuer von einem solventen oder insolventen Unternehmer zu zahlen sei. Diese finde ihre Verankerung im sekundären Unionsrecht (Präambel Abs. 4 der MwStSystRL) und werde durch das primäre Unionsrecht zusätzlich flankiert (Beihilfenverbot). Abschließend warf Herr Prof. Seer die Frage auf, ob nicht de lege ferenda eine Lösung darin bestünde, dem Fiskus ein Aussonderungsrecht einzuräumen.

Im Anschluss an die Ausführungen Prof. Seers folgte die von Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen (Universität Düsseldorf) geleitete Podiumsdiskussion zum Thema „Insolvenzverwaltung und Umsatzsteuer – Fragen an den Gesetzgeber“.

 

Die Podiumsdiskussion nutzen Referenten und Plenum zu einem regen, kontroversen Meinungsaustausch, in dem alle Themen der Tagung nochmals tangiert und resümiert wurden. Gefragt nach ihrem Wunsch an die Gesetzesverfasser waren sich die Referenten einig:

Einmütiges Anliegen aller ist ein gesetzliches Konzept rechtssicherer, vorhersehbarer und einfacherer Regelungen (de lege ferenda). Die derzeitige Rechtslage, die auf einer Vielzahl von komplexen, mitunter wenig eindeutigen Regelungen beruhe, führe zu einer misslichen Situation für alle Betroffenen und - angesichts der dadurch naturgemäß ausgelösten Erhöhung von Rechtsberatungskosten - im Ergebnis sogar zu einer nach dem Grundprinzip der Insolvenzordnung nicht gewollten Schmälerung der Masse. Durch die zunehmende Komplexität werde die Rechtsmaterie in praxi immer weniger handhabbar, was zu Sanierungshemmnissen führe und Erschwernisse bei der rechtmäßigen Gesetzesanwendung sowohl für die Verwalter-/Beraterschaft als auch für die Finanzämter bedeute (Dr. Kahlert). Die eigentlichen Ziele der Insolvenzverwaltung resp. Sanierung (Rettung von Unternehmen zur Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen, Infrastrukturen) würden durch die imperfekte, komplizierte Rechtslage konterkariert (Dr. Kahlert). Zudem könne die Rechtsprechung angesichts dieses komplizierten Regelungsdickichts mitunter nicht zu einer nachhaltigen Klärung streitiger Fragen beitragen. Aus der zu wenig konsistenten Interaktion von Gesetzgebung und Rechtsprechung ergebe sich damit letztlich eine „Flickschusterei“, die für die Insolvenzverwalter zu einem tagtäglichen „Kampf“ um rechtstreues Verhalten im Sinne rechtmäßiger Gesetzesanwendung und einem permanenten „Festfahren“ führe (Frau Rennert-Bergenthal).

In Bezug auf das Wesen der Umsatzsteuer gingen die Vertreter der in den Vorträgen geäußerten unterschiedlichen Auffassungen teilweise aufeinander zu. So machte Herr Rüsken deutlich, dass er sich die Idee der Umsatzsteuer als „Treuhandsteuer“ angesichts Hintergrund und Bedeutung des § 17 UStG vorstellen könne. Probleme habe er dagegen mit der Idee eines umsatzsteuerlichen Aussonderungsrechts zugunsten des Fiskus (Rüsken). Als weiteren Schritt zu einer Vereinfachung der Rechtslage stellte er die – zumindest prima facie - drastisch anmutende Idee einer Abschaffung der Sollbesteuerung in den Raum. Aus dem Plenum wurden Zweifel geäußert, sowohl an dem Modell einer Treuhandschaft als auch an dem Modell eines Aussonderungsrechts. So sei die Treuhandschaft keine „insolvenzrechtliche Kategorie“. Gegen die Einführung eines umsatzsteuerlichen Aussonderungsrechts wurde die fehlende „Nämlichkeit“ (Problem der Verbindung/Vermischung) geäußert. Dagegen wurde die Idee eines Absonderungsrechts als neuer Gedanke aufgebracht. Die anderen Schemata „passten aber nicht in das Insolvenzrecht“ (Plenum).

Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im Schnittstellenbereich von Insolvenz- und Steuerrecht kristallisierte sich in der Podiumsdiskussion als Hauptanliegen de lege ferenda heraus. Der fachkundige, gleichzeitig humorvolle und für alle Beteiligten gewinnbringende Austausch half, die neuralgischen Punkte zu eruieren.

Die Präsentationen der Referenten können unter folgenden Links heruntergeladen werden:

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