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„Gläubigerautonomie in InsO-Verfahren – Königsweg oder Sackgasse?“

Bericht zur 6. Jahrestagung des ISR 

„Nicht nur die Entscheidung über die Form und die Art der Masseverwertung, sondern auch die Entscheidungen über die Gestaltung des Verfahrens, insbesondere über die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens und über die Verfahrensdauer, berühren Interessen der Beteiligten unmittelbar. Solche Entscheidungen müssen stets unter Unsicherheit getroffen werden; sie sind immer risikoreich. In der Marktwirtschaft muß grundsätzlich das Urteil derjenigen Personen maßgeblich sein, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen und die deshalb die Folgen von Fehlern zu tragen haben. (…) Die Marktkonformität des Verfahrens gebietet es, die Entscheidung über die Verwertung der Insolvenzmasse allein den Geldgebern (Gläubigern und Eigenkapitalgebern) des Schuldners vorzubehalten, soweit deren Rechte einen positiven Vermögenswert besitzen. Interessen Außenstehender sind im Verfahren nicht zu repräsentieren.“ (BT-Drs. 12/2443, S. 79 f.)

Die InsO misst der Beteiligung der Gläubigerorgane in Insolvenzverfahren besondere Bedeutung bei. Von der Beteiligung bei der Auswahl der Verwalter bis zu Zustimmungsvorbehalten im Verfahren stehen den Gläubigern wirkungsvolle Instrumentarien zur aktiven Mitgestaltung des Insolvenzverfahrens zur Verfügung. Welche Zwecke werden mit dem Prinzip der Gläubigerautonomie verfolgt und in welchen Verfahren nehmen Gläubiger die ihnen eingeräumten Befugnisse überhaupt war? Würde eine Nichtausübung ein „Systemversagen“ bedeuten, weil die Zwecke nicht erreicht werden?
Das Institut für Insolvenz- und Sanierungsrecht hat sich in seiner 6. Jahrestagung am 20. September 2019 sowohl den theoretischen Grundlagen als auch praktischen Fragen der Gläubigerautonomie gewidmet. 

Im Vormittagsteil stellten RA Michael Pluta und RA Dr. Stephan Thiemann (beide PLUTA Rechtsanwalts GmbH) die „Sanierung in Kooperation mit den Gläubigerorganen“ anhand eines praktischen Falls vor und verdeutlichten nachdrücklich, wie sich unterschiedliche Interessen auf den Ablauf des Sanierungsprozesses auswirken. Zugleich veranschaulichten sie nachdrücklich, welche konkreten Auswirkungen die vom Gesetzgeber fortwährend gestärkten Partizipationsmöglichkeiten der Gläubiger auf den Sanierungsprozess haben. Ob ein Sanierungsprozess gelinge, hinge im Ergebnis maßgeblich von der von Fall zu Fall variierenden Kooperationsbereitschaft der Gläubiger sowie vom Verhandlungsgeschick des Verwalters ab. 

Einen spannenden Blick über den juristischen Tellerrand gewährte Dr. Boris Heller (ROTT-HEGE WASSERMANN). Dr. Heller hatte im Rahmen seiner 2010 abgeschlossenen Promotion aus dem Jahr 2010 ein Modell zur Simulation von Gläubigerentscheidungen entwickelt hatte, deren Ergebnisse er nunmehr auf dem Stand des Jahres 2019 reflektierte. Auf Basis einer dem jeweiligen Verfahren angepassten Soziomatrix simuliert das Modell eine virtuelle Gläubigerversammlung und ermittelt so die Wahrscheinlichkeit, mit der Gläubiger einen Insolvenzplan annehmen werden. Auch diese für den Juristen ungewohnte Herangehensweise verdeutlichte, welches Gewicht dem Willen und der Kooperationsbereitschaft der Gläubiger für das Gelingen von Unternehmenssanierungen beigemessen werden kann und muss.

Das Vormittagsprogramm fand seinen Abschluss mit einem Grundlagenreferat von Frau MinDir. a.D. Marie Luise Graf-Schlicker zum Prinzip der Gläubigerautonomie in InsO-Verfahren. Sie stellte klar, dass das Insolvenzverfahren nach der Konzeption des InsO-Gesetzgebers als marktkonformes und gleichermaßen dereguliertes Verfahren des Prinzips der Gläubigerautonomie bedürfe. Das Verfahren solle gerade unter der Herrschaft privater Gläubiger stehen, die durch die Insolvenz des Schuldners unmittelbar in ihrem Vermögen geschädigt worden seien. Nach einer umfassenden und kenntnisreichen Gesamtschau der gesetzlichen Regelungen, in denen die Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren verankert ist, charakterisierte die Referentin das Regelungsgefügt der InsO als ein „ausdifferenziertes System“ der Mitwirkung unterschiedlicher Gläubigerorgane. Im Anschluss widmete sich Frau Graf-Schlicker der praktischen Ausübung der Gläubigerrechte. Sie hob hervor, dass eine Nichtausübung der Gläubigerrechte nicht zu einem Legitimationsverlust des Verfahrens führe, weil das Prinzip der Gläubigerautonomie den Gläubigern lediglich die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Verfahren einräume, diese Beteiligung aber nicht voraussetze. Gleichwohl mahnte sie an, mithilfe moderner Technik den Gläubigern die Teilnahme am Verfahren praktisch zu erleichtern und die Gläubiger durch verbesserten Zugriff auf Informationen in die Lage zu versetzen, von ihren Rechten aktiv Gebrauch zu machen. Ihr Vortrag mündete in einem eindringlichen Plädoyer für die Gläubigerautonomie, wobei Frau Graf-Schlicker darauf hinwies, dass Befürchtungen einer Missbrauchsanfälligkeit der Gläubigermacht sich bislang nicht belegen ließen.

Die Frage nach einem etwaigen Legitimitätsproblem bei unzureichender Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren führte zum Thema der Podiumsdiskussion „Gläubigerautonomie – Verfahren außer Kontrolle?“ im zweiten Teil der Veranstaltung.
Nach einem einleitenden Kurzreferat von Dr. Hans-Georg Kantner LL.M. (Virginia) zur Rechtslage in Österreich mit der institutionalisierten Gläubigerbeteiligung durch Gläubigerschutzvereinigungen folgte unter der bewährten Leitung von RA Horst Piepenburg eine kontroverse und facettenreiche Diskussion mit den Diskussionsteilnehmern RiLG Dörte Bogumil, RiAG Dr. Stephan Beth M.C.L, Min.Dir. Marie Luise Graf-Schlicker, Dr. Hans-Georg Kantner LL.M., RA vBP Michael Bremen und RA Thorsten Prigge.

Ein Videomitschnitt des einleitenden Referats und der Podiumsdiskussion ist für die Adressaten des ISR-Verteilers (zur Anmeldung) über einen Link abrufbar.
 

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