Neue Sanierungsoptionen
Bericht zum 13. Abendsymposium des ISR
In Kürze wird die EU-Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen in Kraft treten. Nach der Einigung im Rahmen der Trilog-Verhandlungen hat das EP mit legislativer Entschließung vom 28.03.2019 den finalen Text angenommen (http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2019-0321_DE.html?redirect). Die reguläre Umsetzungsfrist nach Inkrafttreten beträgt zwei Jahre.
Das Thema „Präventiver Restrukturierungsrahmen“ oder „Regelungen zur vorinsolvenzlichen Sanierung“ ist also sehr konkret geworden. Synchron zum europäischen Reformanstoß ist Änderungsbedarf, den die ESUG-Evaluation (einschließlich der flankierenden Diskussionen) offengelegt hat, zu berücksichtigen.
Das 13. Abendsymposium des ISR widmete sich dem Thema neuer Sanierungsoptionen in Theorie und Praxis. Im ersten Teil stellte Prof. Dr. Christoph Thole, Universität zu Köln, die Restrukturierungsrichtlinie sowie deren für die Umsetzung relevanten Aspekte vor. Im zweiten Teil veranschaulichten Dr. Rainer Bizenberger, Alix Partners, und RA Leo Plank, Kirkland & Ellis International LL.P., anhand des spektakulären Falles der Agrokor Insolvenz, mit welchen Instrumenten die Sanierung eines systemrelevanten Unternehmens gelingen kann.
1.
Thole gab zunächst einen kurzen Überblick über die bestehenden Sanierungsoptionen und erläuterte die Schwierigkeiten einer „systemgerechten“ Eingliederung des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsplans, da schließlich gerade ein Rechtsrahmen außerhalb des Insolvenzverfahrens geschaffen werden solle. Sodann skizzierte er die in der Richtlinie vorgesehen Regelungen zum Restrukturierungsplan. Besonderes Augenmerk legte Thole auf die optionalen Regelungen der Richtlinie, über deren Umsetzung der nationale Gesetzgeber zu befinden habe.
Im Hinblick auf den Einsatz eines „Restrukturierungsbeauftragten“ betonte Thole die Notwendigkeit einer hinreichenden Konkretisierung dessen Aufgabenbereichs. Ob und inwieweit ein externer Restrukturierungsberater auch die Prüfung des Restrukturierungsplans auf seine Bestandsfähigkeit hin vornehmen solle, liege im Ermessen des nationalen Gesetzgebers. Das Verfahren zur Annahme des Restrukturierungsplans verglich Thole mit dem Insolvenzplanverfahren nach der InsO und gab erste Einschätzungen ab, wie die Ausgestaltungsspielräume, die die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber belässt, genutzt werden könnten. Ein Novum böte der „cross-class cram-down“ (Obstruktionsverbot), der neben dem bekannten Schlechterstellungsverbot an das dem deutschen Insolvenzrecht unbekannte Prinzip relativer Priorität anknüpfe.
Resümierend wies Thole darauf hin, dass mit der Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens gerade nicht das Insolvenzverfahren obsolet werden solle. Zudem plädierte er dafür, hohe Anforderungen an den Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsverfahren zu stellen. Die Umsetzung in deutsches Recht solle sich zudem primär an großen Unternehmen orientieren, die beispielsweise eine finanzielle Restrukturierung anstrebten, im Übrigen aber über eine funktionsfähige Unternehmensorganisation (Buchhaltung etc.) verfügten.
In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die Frage des Zugangs eines schuldnerischen Unternehmens zu den Instrumenten des präventiven Restrukturierungsrahmens und die Abgrenzung zu den Insolvenzgründen thematisiert.
2.
Im zweiten Teil boten Bizenberger und Plank mit der „Fallstudie Agrokor“ einen anschaulichen Erfahrungsbericht über die Besonderheiten der Sanierung des kroatischen Agrokor-Konzerns.
Agrokor, ein kroatischer Konzern mit über 100 Gesellschaften, nahm durch seine marktführende Stellung in den Sparten Lebensmittelproduktion, Lebensmittelverkauf und landwirtschaftliche Produktion eine Schlüsselposition der kroatischen Wirtschaft ein. Im Frühjahr 2017 geriet das Unternehmen in die Krise. Die von den Referenten vorgefundene Ausgangslage des Konzerns, die insbesondere von fehlender Liquidität, mangelhafter Zukunftsplanung und einer nicht funktionsfähigen Managementstruktur innerhalb des Konzerns geprägt gewesen sei, habe eine Restrukturierung im Rahmen eines herkömmlichen Insolvenzverfahrens unmöglich gemacht. Eine Liquidation hätte fatale Folgen für die gesamte kroatische Wirtschaft gehabt. Der einzige Ausweg lag somit in der Durchführung eines Sonderinsolvenzverfahrens, dessen Rahmenbedingungen kurzfristig durch ein von der kroatischen Regierung verabschiedetes Sondergesetz zur Rettung des Agrokor-Konzerns statuiert wurden.
Den Sanierungsexperten gelang es, eine neue Managementstruktur unter dem Insolvenzverwalter einzuführen. Zum Zwecke der notwendigen Liquiditätsbeschaffung sei sodann ein Massekredit nach dem sog. „roll-up“-Prinzip aufgenommen worden. Zunächst seien zahlreiche „kleine“ Lieferanten befriedigt worden. Kurze Zeit später sei in 80 % der Lieferbeziehungen zu normalen Zahlungskonditionen zurückgekehrt worden, sodass sich die Zahl der Gläubiger drastisch reduzierte. Dieses Vorgehen habe gerade nicht zu einer Schädigung anderer Gläubiger, die erst zu einem späteren Zeitpunkt Befriedigung erlangen sollten, geführt.
Die Konzernunternehmen wurden spiegelbildlich auf eine neue niederländische Holding übertragen und in umfangreicher Weise Verbindlichkeiten gegenüber größeren Gläubigern in Gesellschafteranteile umgewandelt (debt-equity-swap). Die Befriedigung der übrigen Gläubiger basierte auf der Einführung eines speziellen „entity priority model“, nach dem die Rückzahlungsquote jeder einzelnen Forderung exakt berechnet werden sollte.
Der Restrukturierungsplan wurde schließlich nach vielen Verhandlungsrunden im Juli 2018 von über 80 % der Gläubiger angenommen. Im Ergebnis, so stellten die Referenten fest, sei es auch unter sehr schwierigen Umständen möglich, ein Unternehmen vor der Liquidation im Insolvenzverfahren zu bewahren, wenn der Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen schaffe. Ohne das Sondergesetz wäre es nicht möglich gewesen, den Konzern als solchen zu retten.
Das Publikum zeigte großes Interesse an den Erläuterungen aus erster Hand und dankte allen Referenten mit warmem Applaus.